Psychedelisches Revival: Psilocybin in Deutschland zugelassen
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Was wäre, wenn der Schlüssel zur Heilung der tiefsten seelischen Wunden in Substanzen verborgen läge, die wir seit Jahrzehnten verteufeln? Im Juli 2025 hat Deutschland einen revolutionären Schritt getan: Als erstes Land der Europäischen Union genehmigte es ein Compassionate-Use-Programm für Psilocybin – den Wirkstoff aus Zauberpilzen – zur Behandlung therapieresistenter Depressionen.
Dieser Meilenstein, initiiert vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim und der OVID-Klinik in Berlin, ist nicht nur ein medizinischer Durchbruch: Er ist ein Aufruf, unsere Beziehung zu Psychedelika neu zu denken – in einer Gesellschaft, die „gute“ und „schlechte“ Drogen mit alarmierender Heuchelei voneinander trennt. Bei Alchimia beleuchten wir, wie dieses Programm die Bedeutung von Set (mentale Verfassung, engl. mindset) und Setting (Umgebung) unterstreicht und wie Psilocybin zu einem gesellschaftlich anerkannten mächtigen Werkzeug und Verbündeten für die Heilung schwerer psychischer Krankheiten werden kann.
Stellen Sie sich Millionen von Menschen vor, deren Depression nicht auf herkömmliche Antidepressiva oder Standardtherapien anspricht – in Deutschland wie weltweit betrifft das 20–30 % der Fälle. Wäre es da nicht naheliegend, andere Behandlungswege zu prüfen?
Der Einsatz von Psilocybin im therapeutischen Kontext
Für diese Patientinnen und Patienten wird das Leben zu einem Kreislauf der Hoffnungslosigkeit. Psilocybin, eine natürliche Verbindung aus Zauberpilzen, wirkt an den Serotonin-5-HT2A-Rezeptoren im Gehirn und kann veränderte Bewusstseinszustände hervorrufen, die starre Denkmuster auflösen und Türen zu neuen emotionalen Perspektiven öffnen.
Ist das Magie – oder nicht? Studien wie EPIsoDE, durchgeführt vom ZI Mannheim in Zusammenarbeit mit der Charité Berlin und der MIND Foundation, zeigen, dass hohe Psilocybin-Dosen (ab ca 25 mg, entspricht ca 2,5 g getrocknete Pilze) in Kombination mit Psychotherapie bei rund 30 % der Teilnehmenden zu positiven Reaktionen führen können.
Das Programm, das am 11. Juli 2025 vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) genehmigt wurde, erlaubt den Einsatz von Psilocybin (geliefert als PEX010 vom kanadischen Unternehmen Filament Health) in Ausnahmefällen. Teilnahmeberechtigt sind Erwachsene mit medikamentenresistenter Depression, für die es keine praktikablen, zugelassenen Behandlungsoptionen gibt und die nicht an klinischen Studien teilnehmen können.
Die Therapie findet selbstverständlich in kontrollierten Rahmen statt: stationär in Mannheim und in der Tagesklinik in Berlin – mit vorbereitenden Sitzungen, überwachter Verabreichung und intensiver psychotherapeutischer Nachbetreuung. „In ausgewählten Fällen kann der therapeutische Einsatz von Psilocybin eine medizinisch wie ethisch sinnvolle Option sein – stets unter streng kontrollierten Bedingungen“, sagt Prof. Dr. Gerhard Gründer, Initiator des Programms.
Dr. Andrea Jungaberle, Ärztliche Leiterin der OVID-Klinik, betont: „Die Substanz wird nicht isoliert verabreicht, sondern im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes, der Psyche, Körper und Lebenskontext der Patientinnen und Patienten berücksichtigt.“
Eine Herausforderung für unsere modernen Vorurteile
Doch blicken wir über die wissenschaftlichen Fakten hinaus: Dieser Durchbruch zwingt uns, die Heuchelei unserer Zeit zu reflektieren. Warum stigmatisieren wir Psychedelika als „schlechte Drogen“, während synthetische Opioide oder Antidepressiva mit schweren Nebenwirkungen bereitwillig akzeptiert werden? Das dominante Narrativ – geboren aus der moralischen Panik der 1960er- und 1970er-Jahre – blendet aus, dass indigene Kulturen diese Substanzen seit Jahrtausenden in Heilritualen und Visionssuchen einsetzen, initiiert nach sorgfältiger mentaler Vorbereitung und umgesetzt in einer behüteten Umgebung, häufig begleitet durch Schamaninnen und Schamanen.
In einer Gesellschaft, die von Produktivität und Kontrolle besessen ist, vergessen wir leicht, dass echte psychische Gesundheit nicht nur darin besteht, Symptome zu unterdrücken, sondern darin, unser Inneres zu erkunden, um Sinn und Verbundenheit zu finden. Was wäre, wenn Psychedelika – verantwortungsvoll eingesetzt – helfen könnten, die moderne Vereinsamung zu durchbrechen und Empathie sowie kollektive Resilienz zu fördern?
Natürlich ist das Programm nicht frei von Risiken. Bei unsachgemäßer Anwendung kann es akute Angstzustände auslösen oder – selten – psychotische Episoden. Menschen mit einer Neigung zu Psychosen sind daher ausgeschlossen. Zudem ist das Programm vorerst zeitlich befristet (bis Juli 2026) und in seinem Umfang begrenzt; die Nachfrage dürfte das Angebot übersteigen – wie bereits in der Schweiz.
Gleichwohl markiert es einen bedeutsamen Paradigmenwechsel: vom Verbot zur verantwortungsvollen Integration. Die gewonnenen Daten werden Phase-III-Studien stützen und könnten die vollständige Zulassung von Psilocybin in Europa beschleunigen – in Anlehnung an Entwicklungen in den USA.
Dieser Moment ermutigt uns, von einer Zukunft zu träumen, in der Psychedelika kein Tabu mehr sind, sondern Werkzeuge für eine mitfühlendere Gesellschaft. Deutschland zeigt, dass Veränderung möglich ist: Wer Vorurteile hinterfragt, öffnet Türen für Innovation. Sind wir bereit, Geschichte neu zu schreiben und anzuerkennen, dass die Kraft dieser Substanzen in ihrer verantwortungsvollen Anwendung liegt? Wir bei Alchimia glauben daran – und sehen darin erst den Anfang einer psychedelischen Renaissance, die unser Verständnis des menschlichen Geistes verändern könnte.
Referenzen:
- ZI Mannheim. (2025, Juli). Compassionate Use Programm für Psilocybin erstmals in Deutschland möglich. Abgerufen von https://www.zi-mannheim.de/institut/news-detail/compassionate-use-programm-fuer-psilocybin-erstmals-in-deutschland-moeglich.html
- OVID Clinics. (o. D.). News. Abgerufen von https://www.ovid-clinics.de/news
- OVID Clinics. (o. D.). Psilocybin-Therapie Berlin. Abgerufen von https://www.ovid-clinics.de/psilocybin-therapie-berlin
- ZI Mannheim. (o. D.). Psychedelika in Psychiatrie und Psychotherapie. Abgerufen von https://www.zi-mannheim.de/behandlung/klinik-psychiatrie/psychedelika-in-psychiatrie-und-psychotherapie.html
- Psychedelic Alpha. (2025, 31. Juli). Germany Establishes EU's First Psilocybin Compassionate Access Program. Abgerufen von https://psychedelicalpha.com/news/germany-establishes-eus-first-psilocybin-compassionate-access-program
- Euronews. (2025, 31. Juli). Germany to allow some depressed patients to try psychedelics. Abgerufen von https://www.euronews.com/health/2025/07/31/germany-to-allow-some-depressed-patients-to-try-psilocybin-amid-psychedelic-medicine-boom